Inwieweit ist es möglich, die Dienstleistungsqualität bei reduzierter Besatzung auf einem hohen Niveau zu halten?
„Die Bewertung der Servicequalität obliegt den Gästen. Wir erheben Daten aus ihrer Perspektive und schauen, was genau sie an Bord erwarten, benötigen oder wünschen. Ziel ist es, diese konkreten Bedürfnisse abzudecken und zugleich unnötige oder übertriebene Tätigkeiten zu beseitigen. Parallel dazu etablieren wir die Verfahren der neuen Hygienevorschriften schlank und angepasst. Je nach Notwendigkeit gestalten wir diese neuen Prozesse entweder unauffällig oder wir präsentieren sie offen – vielleicht sogar mit Show-Charakter – als Mehrwert für die Gemeinschaft an Bord. Hierbei verfolgen wir einen ganzheitlichen Planungs- und Verfahrensansatz, der sowohl den emotionalen und regulatorischen Anforderungen gerecht wird als auch auf kurzfristige Änderungen flexibel reagieren kann.“
Somit ergänzt das agile Management die schlanke Logik der anstehenden Neuausrichtung?
„Ja. Eine agile Denkweise unterstützt die Lean-Methodik in dieser Situation ausgezeichnet. Der Aufbruch ins Ungewisse erfordert robuste, keine starren Strukturen. Einhergehend mit neuen medizinischen Erkenntnissen können sich Vorgaben von Woche zu Woche verändern. Ein aktuelles Beispiel wären hier die Aerosole. Sie erfordern andere Hygienemaßnahmen als Schmier- oder Tröpfcheninfektionen. Es gilt daher, neue Regelungen jederzeit in die bestehenden Prozesse integrieren zu können – ohne lange Tests und Trainings. Daher implementieren wir Werkzeuge und Methoden an Bord, die helfen, Routinen schnell, geplant, effizient und flexibel anzupassen.“
Warum ist die Hygienesicherheit entscheidend? Was ist ihre große Chance?
„Der Kreuzfahrtindustrie haftet seit jeher das Stigma an, eine Petrischale voller Viren und Bakterien zu sein. Das ist völlig ungerechtfertigt. Zahlen widerlegen diese Behauptungen, dennoch geistern solch emotionale Annahmen durch die Öffentlichkeit. Die große Chance der verstärkten Hygienemaßnahmen liegt nun darin, der Kreuzfahrtindustrie ein saubereres, gesünderes und zugleich realistischeres Image zu verschaffen. Dieses Ziel bedarf einer gemeinsam getragenen Denkweise. Wenn jeder hart daran arbeitet, Infektionen – sei es mit Covid-19, Grippe oder einer Magen-Darm-Erkrankung – an Bord zu verhindern und entsprechend zu kommunizieren, können wir das Vertrauen potentieller Gäste in die Gesundheitspflege an Bord solide aufbauen.“
Ganz pragmatisch: Welche Prozesse sollten jetzt zuerst reorganisiert werden?
„Zunächst ist es wichtig, die Reise der Gäste neu nachzuvollziehen – von dem Moment an, an dem sie sich für eine Kreuzfahrt entscheiden. Der gesundheitliche Aspekt dominiert auch diese Analyse. Bereits mit der Buchung muss der Reiseveranstalter wissen, ob die Gäste wirklich reisefähig sind und ob möglicherweise medizinische Vorerkrankungen vorliegen. An Bord gilt es, jeden Punkt der direkten oder indirekten Interaktion zwischen Gast und Schiff zu untersuchen. Gute Kommunikation wird auch hier entscheidend sein, um neue Standards umzusetzen und den Gästen ein gutes Gefühl zu geben. Die anschließende Reorganisation der einzelnen Abteilungen staffelt sich – im Sinne der Kostenreduktion – nach ihrer Arbeitsintensität.“
Warum ist es wichtig, die neuen Prozesse von Anfang an strategisch effizient zu gestalten?
„Prozesse von Grund auf zu entwerfen, sie zu trainieren und zu implementieren ist deutlich einfacher und schneller als Routinen zu unterbrechen, um sie zu verändern. Wir durchdenken die Abläufe vorab, nicht erst dann, wenn sie sich eingespielt haben. Bei neuen Verfahren haben wir die Chance, schlanke, bewegliche und fehlersichere Prozesse gemäß einem korrekten und detaillierten Plan zu installieren. Das spart eine Menge Aufwand und Zeit.“
Wie nachhaltig ist die schlanke Reorganisation über die Krise hinaus?
„Der Grundgedanke der Lean-Logik ist die kontinuierliche Verbesserung. Wenn wir eine Vision haben, die unser Unternehmen bereichert, werden wir unser Geschäft dahingehend fortwährend optimieren. In Anbetracht der Vielzahl an Prozessen im Betrieb eines Kreuzfahrtschiffs, die nicht wertschöpfend sind, haben wir auch über die Krise hinaus eine Menge zu tun, um sie mithilfe des Lean Managements nachhaltig zu verbessern.“